Dienstag, 14. Dezember 2010

Musical im Fernsehen - hoffentlich wird das nicht zum Vorbild

Nachdem man bei der Ultimativen Chart Show unter anderem schon "Die erfolgreichsten Werbehits aller Zeiten", "Die größten Skandalsongs aller Zeiten", "Die erfolgreichsten Radiohits" oder "Die erfolgreichsten erotischen Hits aller Zeiten" durchgenommen hatte, hatte man sich in der letzten Ausgabe (ausgestrahlt am 10. Dezember 2010) den "erfolgreichsten Musical-Hits" angenommen. Laut wikipedia die 89. (!) Folge dieser von Oliver Geissen moderierten Sendung.

Vorweg muss ich gleich sagen, dass ich noch nie ein großer Fan dieser Rankingshows war. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich sie noch kritischer angesehen habe, als ich sowieso Sendungen ansehe, in denen es ums Musical geht. Wenn meine Lieblingstheaterform betroffen ist, kann ich empfindlich werden. Aber ich habe mich gefreut, dass Musicals überhaupt im Fernsehen vorkommen. Wie überhaupt Bühnenkultur ist Musical im Fernsehen in meinen Augen unterrepräsentiert. Hin und wieder wird von Premieren berichtet, dann meistens in den Seitenblicken-Formaten dieser Welt. Dann gibt es natürlich auch die Kulturprogramme und -sendungen, die allerdings werden fast immer irgendwo im Nachtprogramm versteckt. Also eigentlich hätte man sich doch wirklich freuen müssen, dass es diesmal sogar eine Sendung im Hauptabendprogramm war.

Wenn da nicht das große ABER wäre.
Die Folge nannte sich "Die erfolgreichsten Musical-Hits". Gesucht wurde nach diesen in den deutschen Single-Charts. Alleine das hat mich schon stutzig gemacht. Wie viele Musicalsongs werden denn als Singles veröffentlicht? Kommen denn da nicht eher Alben heraus? Wäre es da nicht sinnvoller gewesen die Album-Charts zu durchforsten (auch das wurde in dieser Sendung schon gemacht, widerspräche also nicht dem Konzept)? Nun, das Ranking war in meinen Augen auch geschummelt. Großteils hätte es sich eigentlich "erfolgreiche Songs, die irgendwann einmal in einem Musical verwendet wurden, egal ob völlig anders oder nicht" nennen müssen. Nur ein paar Beispiele:
Der Song "Ich war noch niemals in New York" war in der Version von den Sportfreunden Stiller im Ranking, nicht in der Musical-Version und die Sportfreunde haben wohl nicht das Musical gecovert sondern Udo Jürgens. "Total Eclipse of the Heart" von Bonnie Tyler. Wen interessiert schon, dass das Lied seine erfolgreichste Zeit hatte lange bevor Tanz der Vampire überhaupt uraufgeführt wurde. Die Version von Bonnie Tyler ist kein Musical-Hit, sie ist ein Pop-Song, der später für das Musical verwendet und umgeschrieben wurde. "We Will Rock You" von Five/Queen. Auch hier gab es den Song schon lange vor dem Musical. Das beste Beispiel ist aber wohl Platz 1: "Daddy Cool" von Boney M aus dem Jahr 1976. 30 Jahre später hat Frank Farian beschlossen ein gleichnamiges Musical zu produzieren (und damit nochmehr Geld aus Boney M. zu holen) und diesen Hit darin zu verwenden. Macht das den Song zu einem Musicalsong? Ich sage nein. Wenn denn wenigstens die Musical-Versionen selber im Ranking gewesen wären, aber da geht es wohl wieder zurück an den Start. Wie viele Musical-Songs werden als Singles veröffentlich (und wie viele solcher Veröffentlichungen könnten sich tatsächlich gegen das Original von zum Beispiel Queen durchsetzen)?.
So zieht sich das durch das ganze Ranking. Ein paar Musical-Hits sind dann auch noch dabei. "Erinnerung" aus Cats (Platz 29), das Angelika Milster auch live singen durfte oder "Wenn ich einmal reich wär" aus Anatevka (Platz 32). "All (I Ever Want)" von Alexander Klaws und Sabrina Weckerlin, die Popversion von "Alles" aus 3 Musketiere schaffte es sogar auf Platz 22. Wenn ich jetzt kleinlich sein will, kann ich auch noch anmerken, dass - soweit ich mich erinnere - diese Version aber erst vor kurzem extra eingespielt wurde und sich nicht auf dem Soundtrack des Musicals befindet, wie in der Einblendung geschrieben. Noch kleinlicher könnte ich beim Begriff "Soundtrack" werden, der für Musicaltonträger eher unüblich ist.

Jemand der mit dieser Sendung zum ersten Mal wirklich mit dem Genre Musical in Berührung kommt, muss denken, dass in selbigen mehr oder minder nur kopiert wird und nichts oder kaum Eigenständiges entsteht. Natürlich wird in dem Genre viel zitiert, angelehnt oder schlicht kopiert. Das will ich gar nicht leugnen, aber es gibt auch so viel Neues und Originäres. Vermutlich ist das aber dem Fernsehpublikum nicht so leicht zu vermitteln wie die allseits bekannten Popsongs, die es aus solchen Shows schon gewohnt ist und wohl auch erwartet.

Als Gäste waren Dirk Bach und Mirja Boes geladen worden, die beide schon direkt mit dem Musical in Berührung gekommen waren. Dirk Bach spielte in Die Schöne und das Biest und Der Glöckner von Notre Dame, Mirja Boes studierte eine Weile Musical bevor sie sich lieber der Comedy zuwandte. Marco Schreyl darf wohl in jeder RTL-Sendung Platz nehmen. Eine kurze Internetsuche über seine Person sagt mir, dass er unter anderem Das Supertalent und Deutschland sucht den Superstar moderiert (hat). Wie leider nicht anders zu erwarten war, wurde nicht viel über Musicals geredet. Da unterhielt man sich lieber über Schuhe oder Haare oder eben über die Hits, die kaum jemals wirklich mit den Musicals in Verbindung gebracht wurden. Dirk Bach zumindest versuchte es hin und wieder. Ich bekam den Eindruck, dass weder Oliver Geissen noch Marco Schreyl schon mehr als zwei Musicals besucht hatten.
Über die Einspielungen der "Prominenten" während der Präsentation der Ranking-Plätze möchte ich lieber den Mantel des Schweigens decken. Exemplarisch sei herausgegriffen, dass
- das herkömmliche Musical [im Gegensatz zu We Will Rock You] ins Operettenhafte geht.
Ja, es gibt operettenhafte Musicals. Auch! Aber in meinen Augen ist das nicht "das herkömmliche Musical".
- es in Musicals immer viel Make-Up, aufwändige Kostüme und vor allem sehr große Gesten gibt.
Das wurde geradezu als das definierende Merkmal des Musicals hingestellt. Was soll man dazu noch sagen?

Und um diesen Blogeintrag etwas erfreulicher abzuschließen, ende ich mit einem Zitat von Dirk Bach, der mit diesem bei mir Bonuspunkte für die nächsten zehn Jahre gesammelt hat. Oliver Geissen fragte sich im Zuge einer Diskussion über Jukebox-Musicals wie We Will Rock You oder Mamma Mia!, ob diese Musicals denn nicht quasi Selbstläufer wären, weil sie ja so bekannte Musik verwenden würden und ob man nicht einfach ein paar Beatles-Hits nehmen könnte und zu einem Musical machen und sich das dann mehr oder weniger von selbst verkaufen würden. Dirk Back wandte daraufhin ein:
Musical braucht die Geschichte, sonst hast du einfach nur ein Konzert.
Im Web:

1 Kommentar:

  1. Ich habe mir die Sendung natürlich auch gegeben. Die ultimative Chartshow mag ich ganz gerne, sofern sie unter einem netten Thema steht - diesmal war das Thema zwar SEHR nett, aber die Ausführung schlecht.
    Immerhin geht es mal ums Musical, allerdings wurde es auch hier wieder nur belächelt. Leichte Unterhaltung, alles nur geklaute Hits, etc etc. Bis zum Ende habe ich die Sendung mit kritischem Blick verfolgt, aber mich versucht nicht aufzuregen, bei der Vorstellung der Nummer 1 ist es dann aber aus mir herausgeplatzt und ich musste sofort den Fernseher abschalten, sonst wäre er zu Schaden gekommen...gefreut hat mich allerdings besonders, dass ich Mark Seibert als Galileo sehen konnte und obwohl ich "Memory" fast nicht mehr hören kann, Milster hat die Show aus dem Sumpf geholt.

    Liebe Grüße,
    Julia

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